Wie Uns Wasser Verbindet – Globale Zusammenhänge Durch Verbrauch Und Verantwortung
6. April 2023
9 Minuten Lesedauer
Anna-Samira Jarrar
Die Weltbevölkerung (ver-)braucht Wasser. Sehr viel davon und häufig mehr als sie sollte. Vielerorts droht die Stunde Null – jener Moment, an dem kein fließendes Wasser mehr verfügbar und Leben nur noch bedingt möglich ist. Bisher empfinden wir derartige Zustände als sehr weit weg. Und vergessen dabei, dass wir als Weltgemeinschaft über die Ressource Wasser fest miteinander verbunden sind.
Beginnen wir mit einigen wichtigen Definitionen, die uns in diesem Kontext häufig begegnen. Von Wasserstress ist die Rede, wenn ein definiertes Territorium (z.B. ein Land oder eine Stadt) mehr als 40% der verfügbaren Ressource nutzt. Das Überschreiten dieser imaginären Grenze führt dazu, dass sich das Wasser in seinem natürlichen Kreislauf nicht vollständig regeneriert und sich somit die Menge an trinkbaren Süßwasser fortlaufend (also exponentiell) verringert. Langfristig überverbrauchtes Wasser ist also unwiederbringlich verloren – und zwar global.
Laut Prognosen werden 2050 mehr als 40% der Weltbevölkerung von starkem Wasserstress betroffen sein– die Mehrheit davon im globalen Norden. Das überrascht, denn eigentlich wird Wasserstress eher in sehr heißen und trockenen Regionen der Welt vermutet. Eben dort, wo wir wenig Wasser “gewohnt” sind. Schon jetzt ist aber am Beispiel unseres Nachbarlandes Belgien (hoher Wasserstress mit ca. 49 % Verbrauch der Süßwasserressource 2017; vgl. Weltbank) zu sehen, dass das negative Verhältnis von Bedarf und Verfügbarkeit sicher kein Monopol des globalen Südens ist. Zu wenig Wasser ist demnach durchaus eine Frage des Dargebots, vor allem aber eine des dem gegenüberstehenden Verbrauchs.
Eine Wasserkrise liegt vor, wenn überblickend nicht genügend Trinkwasser für eine bestimmte Population innerhalb einer definierten Region vorhanden ist.
Dabei ist Wasserkrise ohne direkten Bezug zu Wasserstress zu verstehen – die Begrifflichkeit nimmt keine Rücksicht auf notwendige Reserven für eine organische Auto-Regeneration des Wassers. Alles vorhandene Wasser wird für das Leben in der entsprechenden Region gebraucht und reicht dennoch dafür nicht aus. Anders ausgedrückt: Die volle Nutzung der eh zu geringen Verfügbarkeit trägt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verschlechterung der Lage bei. Eine Negativ-Spirale, deren Ausmaß und Geschwindigkeit vom Grad der Übernutzung abhängt.
Laut UNESCO sprechen wir von Wasserknappheit, wenn pro Person und Jahr ein Wasservorkommen von unter 1.700 m³ vorliegt. Wassermangel indes istgegeben, sobald die Wasserressourcen unter 1.000 m³ pro Kopf fallen. 3,6 Milliarden Menschen und damit fast die Hälfte der Weltbevölkerung leben in Gebieten, die mindestens einen Monat pro Jahr von Wassermangel bedroht sind. 2050 werden es Prognosen zufolge bis zu 5,7 Milliarden sein (vgl. UNESCO Weltwasserbericht 2018) Mit unter 500 m³ pro Kopf und Jahr erreicht absoluter Wassermangel oder auch Wassernotstand ein lebensbedrohliches Ausmaß. Dies betrifft zum Beispiel Länder wie Botswana und Eritrea, den nördlichen Teil Indiens oder die arabischen Golfstaaten, Israel, Jordanien, den Libanon, Libyen.
Zur Einordnung: Unsere Projektländer Äthiopien, Kenia und Tansania sind von Wasserknappheit betroffen, allerdings nicht von Wasserstress. Äthiopien beispielsweise nutzt zur Zeit nur knapp unter 10 % seines Wasservorkommens. Hier fehlt es nicht an Ressourcen, sondern faktisch am Zugang zu sauberem Wasser. Ohne Unterstützung gelangen die Menschen nicht an das saubere Grundwasser, welches in den Regionen unserer Projektländer meist mehr als 50 Meter unter der Erde liegt.
Der gemeinsame Tenor aller Begrifflichkeiten: Die Ressource Wasser ist ein wachsendes Problem. Und zwar ein globales.
Warum Wasser global denken?
Auch wenn die sehr trockenen Sommer der letzten beide Jahre noch nicht berücksichtigt wurden: In Deutschland liegt nach aktuellem Standpunkt des Umwelt Bundesamts das Wasserdargebot deutlich über dem Verbrauch der ca. 80 Mio. Einwohner*innen. Wasserstress sei also “im Allgemeinen nicht zu befürchten”. Zu lesen ist aber auch der Hinweis, dass Wasser, das bei der Herstellung von Gütern benötigt wird, oft im Ausland verbraucht worden ist (vgl. Umwelt Bundesamt).
Tatsächlich speist Deutschland seinen Wasserverbrauch nur zur Hälfte aus eigenen Ressourcen. Das restliche Wasser wird aus über 200 Ländern wie Brasilien, der Elfenbeinküste, aber auch Frankreich und der Niederlande importiert (vgl. WWF Deutschland). Dazu ein Beispiel, welches die weltweite Dimension unseres Wassers gut auf den Punkt bringt: Der Anbau von Soja – ein Kreislauf der globaler und gefährlicher nicht sein könnte:
Aufgrund der hohen Nachfrage nach Soja als Futtermittel für die Massentierhaltung werden jedes Jahr circa 1,4 Millionen Hektar Regenwald in Brasilien abgeholzt. Diese Flächen, mittlerweile sechs Mal so groß wie Deutschland, werden intensiv bewässert. Jährlich werden allein für den deutschen Bedarf an Soja etwa zwei Billionen Liter Wasser (ca. 100.000 olympische Schwimmbecken) verbraucht. In Deutschland angekommen landet das Soja in der Massentierhaltung und macht Deutschland zu mittlerweile einem der größten Fleischexporteure Europas. Die Massentierhaltung beziehungsweise die steigende Nachfrage nach Billigfleisch führt zudem zu einer verstärkten Verschmutzung unseres Grundwassers hier vor Ort. Denn: Je mehr Vieh gehalten wird, desto so mehr Gülle und damit Nitrat wird produziert und sickert in unsere Erde (vgl. 2030Report, Swars/Hess). Damit schließt sich einer von vielen Kreisen.
Die Verantwortung der reichen Wasserräuber
Ob es das Soja aus Brasilien, der Kaffee aus Äthiopien, die Blumen aus Kenia oder die Baumwolle aus Indien ist: Wir kommen nicht darum herum – unsere Wasser-Fußabdrücke (vgl.well:fair: Virtuelles Wasser) verteilen wir überall auf der Welt.
Der florierende Handel und damit ein steigendes BIP in den produzierenden Ländern stellt für die ansässigen Ökonomen einen grundsätzlich positiven Wert dar. Allerdings ist er gerade im Bezug auf wasserintensive Güter für die Menschen vor Ort häufig die Ursache steigender sozialer und ökologischer Probleme. Denn: Wachstum ist nicht immer gleich Fortschritt. Der Mechanismus dahinter folgt einer konstanten Logik. Wasser als verknapptes Gut benachteiligt sozial schwächere Ebenen der jeweiligen Gesellschaft. Um dies zumindest oberflächlich auszugleichen, müssen langfristig sinnvolle (und eigentlich notwendige) Maßnahmen der kurzfristigen Bedarfserfüllung weichen.
Eine ungünstige Verkettung der Ursachen
Das globale Bevölkerungswachstum, das Wirtschaftswachstum in den prosperienden Nationen des gesamten Globus und damit der steigende Konsum sind also Hauptursachen für die Wasserkrise (vgl. well:fair: Konfliktressource Wasser). Damit einhergehend sind die klimatischen Veränderungen nicht minder verantwortlich, wobei auch hier die Hauptverursacher*innen die Industrieländer darstellen. Doch auch die leuchtenden Warnsignale des Klimawandels führen nicht dazu, unseren Umgang mit der Ressource Wasser in seiner Komplexität zu begreifen und entsprechend anzupassen.
Die indische Stadt Chennai (ehemals Madras) stellt ein akutes Exempel zur Ursachen-Verkettung dar: Seit einigen Jahren werden durch Wasser-Missmanagement die klimatisch bedingt geringen Wasser-Ressourcen der immer weiter wachsenden Millionenstadt bis zur Neige genutzt. In dem Moment, wo die jährlichen Vorräte aufgebraucht sind, kommt das Leben nahezu zum Erliegen: Schulen müssen schließen, Krankheiten durch unzureichende Hygieneversorgung brechen rasant aus, die Unzufriedenheit der Bürger*innen bricht sich zum Teil in Aggressionen Bahn. Wer Geld hat, kauft sich Wasser, sofern es welches zu kaufen gibt. Ärmere Familien müssen teils die Hälfte ihres Einkommens in Wasser investieren. Der nächste Monsun bringt wieder temporäre Linderung, doch mit jeder neuen Etappe in diesem Kreislauf wird das Grundwasser weniger. Es droht der sogenannten “Day Zero”, der Moment, in dem die Stadt ausdörrt und ihre Lebensfähigkeit verliert. Chennai schein in allen Belangen weit entfernt, doch die Unesco hat das Thema Wasser in 15 weiteren Megacities weltweit untersucht (vgl. Unesdoc). Von Buenos Aires bis Peking, von London bis Kapstadt, von Mumbai bis Manila – so unterschiedlich diese Städte auch sind, rapides Wachstum gefährdet die Zukunft, wenn die Ressource Wasser nicht ausreichend geschützt wird. Vielerorts wächst die Notwendigkeit, den Verbrauch besser zu kontrollieren und Verschwendung einzudämmen. Und übergeordnet politisch verantwortungsvoll zu agieren.
Aber was bedeutet das für uns als Weltgemeinschaft?
Global ist das neue national
Unsere Zukunft ist global. Besonders bei der Ressource Wasser wird dies deutlich. Schauen wir uns alleine die 17 SDGs an, so fällt schnell auf: Das Eine kann nicht ohne das Andere gedacht werden.
Der Umgang mit der Ressource Wasser ist wesentlich für die Umsetzung der SDGs, ob in Westeuropa, Südafrika oder Nordamerika. Eine Welt ohne Hunger (SDG 2) und Gesundheit und Wohlergehen für alle (SDG 3) ist ohne einen nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser (vgl. Weltwasserbericht der Vereinten Nationen 2015) nicht umsetzbar. Thematiken der Gleichberechtigung (SDG 5), der Bildung (SDG 4), der sauberen Energien (SDG 7), der nachhaltigen Städte (SDG 11) oder des nachhaltigen Konsums (SDG 12), auch sie kommen nicht ohne Wasser aus. Wer den Blick öffnet, erkennt schnell: So natürlich Wasser für uns Menschen auch ist – so rational und klug müssen wir damit umgehen. Auf dem Weg zur globalen Gerechtigkeit ist ein nachhaltiges globales Wassermanagement unabdingbar. Ob finanziell, technologisch oder sozial: Wir müssen unsere Ressourcen nutzen, um nachhaltige Anpassungen vorzunehmen, welche jetzigen und zukünftigen Gegebenheiten Rechnung tragen.
Verantwortung übernehmen – aber wer?
So komplex die Ressource Wasser gedacht werden muss, so zahlreich sind auch die Herausforderungen und auch die Agierenden. Gerade im Bezug auf ein nachhaltiges Wassermanagement sind unsere Regierungen, als auch internationale Vereinigungen gefragt.
Viele Technologien und Entwicklungen im Bereich der nachhaltigen Bewirtschaftung von Wasserressourcen stehen nur wenigen Ländern zur Verfügung. Die Wasserrahmenrichtlinien gelten nur innerhalb Europas und Subventionen werden ausgezahlt ohne sie an die Einhaltung von Umweltstandards zu koppeln. Hier gibt es also Potenzial, damit wir auch in Zukunft von unserer Ressource Wasser profitieren.
Wie Wasser mich mit der Welt verbindet
Was neben den großen verantwortlichen Entscheidern im Bereich der Politik und Wirtschaft bleibt, sind aber natürlich auch wir. Jeder Einzelne von uns. Wenn unsere Möglichkeiten auch begrenzt sind, so haben wir in vielen Bereichen die Wahl. Nicht nur politisch, sondern auch in unserem Alltag: Wie konsumieren wir? Essen wir saisonal, wie viel Fleisch brauchen wir auf dem Teller oder wie viel Kleidung in unseren Schränken? Fragen, die wir uns jeden Tag selbst beantworten können und darüber entscheiden, was für einen Wasser-Fußabdruck wir auf unserer Welt hinterlassen. Nur wenn wir Wasser als endliches Gut begreifen und es als solches in unsere gesellschaftlichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen mit einbeziehen, werden unsere Entwicklungen nachhaltig sein. So können wir gemeinsam dazu beitragen, dass Wasser uns verbindet.
Allgemeine Infos zu WASSER WELTWEIT
Gesamtmenge
Die Erdoberfläche ist zu etwas mehr als 70% mit Wasser bedeckt. Das entspricht ca. 1,332 Milliarden Kubikkilometer oder 1.234 Trillionen Liter (1.234.000.000.000.000.000.000).
Aber: Nur etwa 2,5% davon sind Süßwasser und davon sind 70 % als Eis in den Gletschern und Polkappen gebunden. Damit bleiben weniger als 1% der Gesamtmenge vorhandenen Wassers für die Nutzung durch den Menschen (als Grund- und Oberflächenwasser).
Bedeutung
Der Körper eines Erwachsenen besteht durchschnittlich zu 60-70% aus Wasser. So ziemlich alles in unserer Umwelt benötigt Wasser, um zu funktionieren. Zudem ist Wasser eine elementare Zutat in der Herstellung und Produktion von Dingen, die wir täglich nutzen und die uns ernähren.
Wasser ist die Grundlage allen Lebens.
Verbrauch
Etwa 70 % des globalen Süsswasserverbrauchs fallen auf die Landwirtschaft. Die Industrie schlägt mit ca. 20% zu Buche. Der Anteil des privaten Verbrauchs (trinken, Sanitär, Hygiene, kochen etc.) beträgt nur 8 %. Diese Werte gestalten sich regional extrem unterschiedlich (Weltbank, 2017).
Krise
Etwa 2,0 Mrd. Menschen leben ohne sichere Wasserversorgung, das entspricht 27% der Weltbevölkerung (fast ein Drittel). 771 Mio. Menschen davon (11% der Weltbevölkerung) leben ohne Zugang zu einer mindestens einfachen Versorgung.
1,7 Mrd. Menschen (21% der Weltbevölkerung) leben ohne Zugang zu einer mindestens einfachen Sanitärversorgung.
Prognose
Die weltweite Nachfrage nach Wasser steig stetig an und könnte sich bis 2050 verdoppeln. Bereits 2030 wird die Wassernachfrage global um 40 % höher sein als das Angebot, vorausgesetzt, die Weltgemeinschaft (also alle Menschen) ändern ihren Umgang mit und ihre Haltung zu Wasser nicht.
Dieser Beitrag ist Teil des Projekts „Wasser für alle – eine gerechte Wasserversorgung als Grundstein für mehr globale Gerechtigkeit“.