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WASH in Kenia

6. April 2023

10 Minuten Lesedauer

Carolin Tiefenthal

Kenia gehört zu den wirtschaftlich führenden Ländern Afrikas, ist als IT-Standort und begehrtes afrikanisches Reiseziel bekannt. Gleichzeitig haben fast 40% der Bevölkerung keinen Zugang zu Wasser. Wie passt das zusammen?

Kenia hat in den letzten Jahren einige weitreichende politische, gesellschaftliche und soziale Reformen ergriffen und konnte infolgedessen wirtschaftliche Erfolge verzeichnen und den Zugang zu Bildung und anderen Grundversorgungen im Bereich Gesundheit oder WASH verbessern. In der Gesamtbetrachtung Kenias müssen jedoch ein paar Aspekte berücksichtigt werden, die einen oberflächlichen ersten Eindruck schnell korrigieren.

 

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt auf dem Land

72% der kenianischen Bevölkerung lebt in ländlichen Gegenden (vgl. Weltbank a) – und die Situation dort ist nicht zu vergleichen mit der in Städten oder urbanen Räumen.

Infrastrukturprogramme und Sonderwirtschaftszonen, die private Investitionen begünstigen, oder auch Kenias bekannte Informations- und Telekommunikationsbranche, das “Silicon Savannah”, sind Entwicklungen, die sich im urbanen Raum abspielen.

Auf dem Land hingegen ist die Situation durch die sogenannte Subsistenzwirtschaft geprägt. Das bedeutet, dass die maßgebliche Erwerbsquelle eines Haushalts die Bewirtschaftung des eigenen Landes ist, die meistens nur zur Sicherung der eigenen Ernährung reicht. Um andere Bedürfnisse zu decken (Schulbedarf, Konsumgüter), ist in der Regel ein weiteres Einkommen erforderlich. Dieses wird dann oftmals im informellen Jua Kali Sektor erwirtschaftet, beispielsweise durch den Verkauf von eigenem Gemüse, Selbstgekochtem oder Handwerkskunst. Man schätzt, dass über 90% aller selbstständig erarbeiteten Einkommen diesem Sektor zuzurechnen sind und er insgesamt ein Drittel der Arbeitskräfte beschäftigt. Gleichzeitig fällt dieser informelle Sektor komplett aus den offiziellen Statistiken heraus, generiert aus Sicht des Staates keine Steuereinnahmen und bietet Arbeitnehmer*innen keine Sicherheiten wie Sozial- oder Krankenversicherung (vgl. Spelten; Laurien: 143-157).

 

Wirtschaftswachstum ungleich verteilt

Wenn es um die Frage geht, warum nicht alle Kenianer*innen von der wirtschaftlichen Situation, die in den letzten Jahren durch positive Wachstumsraten gekennzeichnet war, profitieren, ist ein weiterer Faktor entscheidend: Wirtschaftswachstum alleine ist keine Lösung zur Reduzierung von Armut und sozialer Ungleichheit. Auch wenn der allgemeine Wohlstand steigt, profitieren nicht unbedingt alle davon. Das Pro-Kopf-Einkommen ist zwar in den letzten Jahren gestiegen (vgl. Weltbank b), doch die Maßnahmen der Regierungen zur Reduzierung sozialer Ungleichheit haben nicht die gewünschten Ergebnisse herbeigeführt. Insbesondere der “Trickle-Down-Effekt”, durch den die Einkommenszuwächse der oberen Schichten per Konsum und Investitionen auch bei den ärmeren Schichten der Gesellschaft ankommen sollen, ist laut Einschätzung der kenianischen Statistikbehörde KNBS für Kenia ausgeblieben und mittlerweile ebenfalls empirisch widerlegt (vgl. IWF, vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung).

So ist die soziale Ungleichheit im Land weiterhin groß.

Kenia liegt mit einem Gini-Index von 41 – einem Indikator, der anzeigt, wie ungleich Einkommen verteilt sind – beispielsweise gleichauf mit den USA (vgl. Weltbank c). Dabei ist auch hier festzustellen, dass sich die Ungleichverteilung vor allem im Hinblick auf das Stadt-Land-Gefälle zeigt. Die Einkommen und damit auch die Konsummöglichkeiten sind in urbanen Räumen höher als auf dem Land (vgl. KNBS). Die Lebensverhältnisse haben sich damit in den letzten Jahren für die meisten Kenianer*innen bis auf eine kleine wachsende Mittelschicht nicht wesentlich verändert: 36% der Bevölkerung lebt auch weiterhin unterhalb der Armutsgrenze (vgl. Weltbank d). Das wiederum zeigt, dass ökonomische Zahlen wie Wachstumsraten allein nicht ausreichen, um ein Land angemessen und differenziert zu beschreiben. So rangiert Kenia in Bezug auf seinen Human Development Index, der neben rein wirtschaftlichen auch Faktoren wie die Lebensdauer, das Bildungsniveau und den Lebensstandard berücksichtigt, und somit als differenziertere Bemessungsgrundlage als rein ökonomische Indikatoren dient, nur im unteren Viertel (Platz 143 von 189, vgl. UNDP).

Rasante Bevölkerungsentwicklung

Eine zentrale Rolle spielt vor allem die Bevölkerungsentwicklung Kenias: So steht den steigenden Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts eine steigende Anzahl an Menschen gegenüber. Die kenianische Bevölkerung hat sich in den letzten 30 Jahren von 24 auf knapp 54 Millionen Einwohner*innen mehr als verdoppelt und wird sich laut Prognosen bis zum Jahr 2050 erneut auf fast 90 Millionen verzweifachen (vgl. Weltbank e, DSW). In diesem Kontext sind daher auch die Zahlen zu den Entwicklungen im Bereich WASH zu interpretieren: So mag es auf den ersten Blick drastisch erscheinen, dass laut Bericht von WHO & UNICEF Stand 2020 38% der Bevölkerung keinen Zugang zu Wasser, 67% keinen Zugang zu einer einfachen Sanitärversorgung haben. Gleichzeitig muss hier aber berücksichtigt werden, dass im Jahr 2000 noch mehr als die Hälfte (53%) keinen Zugang zu einer einfachen Wasserversorgung hatten (vgl. JMP a) – bei einer Bevölkerungszahl, die damals noch wesentlich (um 40%) geringer war (vgl. Weltbank f).

 

Abbildung 1: Relativer und absoluter Anteil der kenianischen Bevölkerung mit Zugang zu einer einfachen Trinkwasserversorgung im Vergleich der Jahre 2000 und 2020

Ganz anders lässt sich die Entwicklung interpretieren, wenn man sieht, dass sich die absolute Zahl der Menschen mit Zugang zu Wasser in diesem Zeitraum verdoppelt hat: Anstelle von ca. 15 Millionen (2000) haben nun ca. 33 Millionen Kenianer*innen einen Zugang zu einer einfachen Versorgung (vgl. JMP b).

Abbildung 2: Anzahl Kenianer*innen mit Zugang zu Wasser nach der Art des Zugangs (Quelle: JMP)

Aber auch hier gilt es, einen differenzierten Blick einzunehmen und sich die Landbevölkerung – und nicht nur den nationalen Durchschnitt – anzuschauen. In ländlichen Gegenden besitzen 48% keinen Zugang zu einer einfachen Wasserversorgung. Das bedeutet, dass dort fast jede*r zweite Kenianer*in auf Wasser aus unsicheren Quellen, wie z. B. Flüssen, Bächen oder Tümpeln, zurückgreifen muss, das oftmals verunreinigt und gesundheitsgefährdend ist. Diese Nenngröße betrug Anfang des Jahrtausends noch 62% (vgl. JMP c) – in den letzten 20 Jahren hat sich der Anteil der Landbevölkerung, der einen Zugang zu Wasser erhalten hat, von 10 auf 20 Millionen verdoppelt (vgl. JMP d).

Abbildung 3: Entwicklung des Zugangs zu einer verbesserter Wasserquelle in ruralen (ländlichen) Gegenden Kenias im Zeitraum 2000 bis 2020 (Quelle: JMP)

Abbildung 4 (zum Vergleich): Entwicklung des Zugangs zu einer verbesserter Wasserquelle in urbanen (städtischen) Gegenden Kenias im Zeitraum 2000 bis 2020 (Quelle: JMP)

Anders sieht es im Hinblick auf die Sanitärversorgung auf dem Land aus: Obwohl hier in den letzten Jahren fünf Millionen Menschen der Zugang zu einer einfachen Sanitärversorgung ermöglicht wurde, liegt der prozentuale Anteil aufgrund der gleichzeitig steigenden Bevölkerungszahl recht konstant bei ca. 70% (vgl. JMP e, JMP f). Dies zeigt, dass gerade in ländlichen Gegenden enorme Entwicklungen festzustellen sind, diese aber im Zuge der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung keine Auswirkungen auf die prozentuale Verteilung haben.

 

Neben Gesundheit vor allem ein Distanz- & Zeitproblem

Fehlender Zugang zu WASH führt zu mehreren Problemen. Zum einen auf gesundheitlicher Ebene, indem Infektionsketten nicht unterbrochen werden und eine massive Gesundheitsgefahr besteht: So sind durch unsauberes Wasser und mangelnde Hygiene hervorgerufene Durchfallerkrankungen oder Pneumonie laut UNICEF auch in Kenia einer der Hauptgründe für die hohe Sterblichkeitsrate von Kindern unter 5 Jahren.

Neben der Wasserqualität sind es laut einer kenianischen Erhebung aber vor allem die Distanz zu und das Fehlen von genügend Wasserquellen, die als größte Herausforderungen bei der Wasserbeschaffung wahrgenommen werden. Die in Kenia durch den Klimawandel und andere Faktoren bedingten immer häufiger vorkommenden Trocken- und Dürreperioden und die damit einhergehende Wasserknappheit schränken die Zuverlässigkeit der bisher genutzten Wasserquellen stark ein (vgl. water.org). Und nehmen damit wiederum Einfluss auf zwei entscheidende Faktoren: Zeit und Distanz.

Für 30% der Landbevölkerung Kenias dauert die tägliche Wasserbeschaffung mindestens eine, für 5% sogar mindestens drei Stunden. Ein enormer Zeitaufwand, von dem insbesondere Frauen und Mädchen, die traditionell für die Beschaffung von Wasser verantwortlich sind, betroffen sind und der dazu führt, dass immer weniger Zeit für andere Tätigkeiten zur Verfügung steht – sei es für Haushalts- oder CARE-Tätigkeiten oder den Schulbesuch (vgl. Twaweza). Fehlende Sanitäranlagen als Rückzugsraum zum Schutz der Intimsphäre während der Menstruation stellen ebenfalls eine Barriere für den Schulbesuch dar: Schätzungen der Stiftung für Weltbevölkerung gehen dabei davon aus, dass Mädchen wegen ihrer Menstruation im Schnitt ca. 30-50 Schultage im Jahr verpassen.

 

Konflikt um Wasser zwischen Mensch und Tier

Der Rückgang verfügbarer Wasserquellen führt immer häufiger zu Konflikten zwischen Menschen und Wildtieren, die nun um Wasser konkurrieren. In Narok County, einem von 47 Counties, in die Kenia seit der Verfassungsreform von 2010 gegliedert ist, wird oftmals Wasser, das von Menschen über Staudämme aufgefangen wird, von Wildtieren verbraucht oder mit Fäkalien verunreinigt. Das Ausweichen auf nicht kontaminierte Stellen erhöht den zeitlichen Aufwand für die Wasserbeschaffung erheblich. Frauen und Kinder setzen sich zudem der akuten Gefahr aus, von Wildtieren angegriffen zu werden – mit oftmals tödlichen Folgen auf beiden Seiten. Im Zuge der anhaltenden Dürren, der Expansion von Ackerflächen und der Besiedlung des Landes aufgrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums, der Erschließung weiterer Infrastrukturprojekte und nicht zuletzt der Errichtung von Naturparks verschärft sich dieses Problem zunehmend, da die traditionellen Migrationsrouten von Wildtieren gestört werden und somit zu weiteren Konflikten in Form von Zerstörungen der Ernten oder Attacken auf Menschen oder Weidevieh enden (vgl. Earth Journalism Network).

 

Ausblick

Während im Bereich der Wasserversorgung in den letzten Jahren enorme Verbesserungen erzielt werden konnten – zu Beginn der 1990er Jahre hatte nur jede*r dritte Kenianer*in einen Zugang zu Wasser aus einer geschützten Quelle, nun zumindest jede*r Zweite – hat sich die Sanitärversorgung aufgrund des rasanten Bevölkerungswachstums nicht maßgeblich verbessert (vgl. WHO & UNICEF). Umso mehr versucht die Politik mit der Anerkennung des Menschenrechts auf Wasser im Rahmen seiner neuen Verfassung von 2010 und der Zielsetzung, im Einklang mit den SDGs bis 2030 einen universellen Zugang zu einer grundlegenden Wasser- und Sanitärversorgung für die kenianischen Bevölkerung zu erreichen, den politischen Grundstein für Veränderung zu legen (vgl. Kenya Vision 2030).

 


Wichtige Punkte im Überblick

  • Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Kenias lebt auf dem Land – die Lebensverhältnisse, Einkommenssituation und Grundversorgung im Bereich Gesundheit, Bildung und WASH unterscheiden sich stark von denen in der Stadt.
  • In den letzten Jahren konnte der Zugang zu WASH in absoluten Zahlen erheblich verbessert werden: Immer mehr Menschen, vor allem auf dem Land, konnten einen Zugang zu Wasser und Sanitäranlagen erhalten. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung so stark, dass weiterhin ein hoher Prozentanteil keinen Zugang zu einer Grundversorgung hat.
  • Die Auswirkungen des Klimawandels führen dazu, dass immer weniger Wasserquellen zur Verfügung stehen: Zur täglichen Wasserbeschaffung müssen immer weitere Strecken zurückgelegt und mehr Zeit investiert werden. Infolgedessen fehlt Zeit für Haushaltstätigkeiten oder den Schulbesuch.
  • Nicht nur die Konkurrenz mit Tieren stellt aufgrund potentieller Angriffe ein Lebensrisiko auch – auch das aus meist unsicheren Quellen entnommene Wasser ist oft verunreinigt und birgt ein enormes Gesundheitsrisiko, insbesondere für Kinder.

Allgemeine Infos zu Kenia

Fläche

580.367 km²

Einwohner

54 Mio. Menschen, davon ca. 39 Mio. Menschen in ruralen (ländlichen) Regionen, ca. 15 Mio. in urbanen (städtischen) Regionen – Stand 2020 (Quelle: Weltbank)

Sprachen

Amtssprachen sind Swahili und Englisch. Darüber hinaus werden ca. 60 weitere Sprachen, Sprachvarianten und Dialekte in Kenia gesprochen.

Hauptstadt

Nairobi

Staats- und Regierungsform

Präsidentielle Republik

Währung

Kenia-Schilling (KES)

Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index)

0.601 (Platz 143 von 189 im globalen Vergleich)
– Stand 2020 (Quelle: UN Human Development Report)

Bruttoinlandsprodukt/Gross domestic product (nominal)

101 Milliarden US$ (Rang 64 im weltweiten Vergleich)
– Stand 2020 (Quelle: Weltbank)