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Neven Subotic bei Markus Lanz: Die Bedeutung von Entwicklungszusammenarbeit

20. März 2025

7 Minuten Lesedauer

In der gestrigen Ausgabe von Markus Lanz diskutierte unser Gründer Neven Subotic gemeinsam mit Ex-Bundesminister Dirk Niebel (heute Berater bei Rheinmetall), Jacqueline Flory (Zeltschule e. V.), Prof. Stephan Klingebiel (German Institute of Development and Sustainability – IDOS) und Christine Nkulikiyinka (Ruandas ehemalige Botschafterin in Deutschland) über die Wirksamkeit von internationaler Entwicklungszusammenarbeit. Ein Thema, das im Zuge des Finanzierungsstopps für die US-Auslandshilfe USAID für die globale Entwicklungszusammenarbeit (lies dazu mehr) nicht aktueller sein könnte. In der Sendung von Markus Lanz wurde deshalb über die Bedeutung von Entwicklungszusammenarbeit diskutiert. 

Entwicklungszusammenarbeit ist unverzichtbar – warum Neven Subotic zu Gast bei Markus Lanz war

Die Debatten um die Wirksamkeit von staatlicher Entwicklungszusammenarbeit werden immer lauter. Spätestens nach dem Finanzierungsstopp von US-Auslandshilfen werden auch in Deutschland Stimmen lauter, staatliche Entwicklungszusammenarbeit auf den Prüfstand zu stellen. Entwicklungszusammenarbeit steht stark unter Druck: Es gibt immer weniger Geld, sie wird für politische Zwecke benutzt und oft wird behauptet, sie bringe nichts. Wir sind eine von vielen gemeinnützigen Organisationen in diesem Sektor, die das nicht einfach so stehen lassen wollen und dem Thema mehr Sichtbarkeit verleihen möchten. Deshalb sind wir auf die Lanz-Redaktion zugegangen.

Denn eins sei schon mal vorweggenommen – ohne Entwicklungszusammenarbeit hätten Millionen von Menschen kaum eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Und nein, natürlich läuft nicht alles perfekt. Bürokratie bremst Projekte aus, politische Interessen stehen manchmal über echter Hilfe. Aber das bedeutet nicht, dass wir aufgeben sollten. Ganz im Gegenteil.

In der Sendung gab es auch die Meinung, dass Entwicklungszusammenarbeit nichts bringt. Das sehen wir – und viele Menschen, die in diesem Sektor arbeiten, ganz anders.

Unser Wohlstand hier in Europa ist nicht vom Himmel gefallen. Er ist das Ergebnis von Jahrhunderten der Ausbeutung. Diese Vergangenheit können wir nicht ändern, aber wir können Verantwortung übernehmen. Daher braucht es jetzt konstruktive und faktenbasierte Debatten in der Öffentlichkeit.

Es geht um historische Verantwortung – es geht darum, wie wir als Weltgemeinschaft miteinander umgehen wollen – und es geht vor allem um eins: Menschenleben.

Mit dem Auftritt bei Markus Lanz wollten wir verhindern, dass diese wichtigen Fragen untergehen. Denn wenn wir warten, bis die Politik alles regelt, kann es zu spät sein.

Neven Subotic über Entwicklungszusammenarbeit: Zwischen Kritik und Realität

In der Diskussion bei Markus Lanz wurde die staatliche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) teils scharf kritisiert. Während Jacqueline Flory die Ineffizienz staatlicher Gelder anprangerte und Dirk Niebel EZ als politisches Instrument abtat, setzte Prof. Stephan Klingebiel auf eine differenzierte Betrachtung.

Neven Subotic, Stiftungsmanager und Gründer von well:fair, stellte klar: Die Vorstellung, dass EZ von Korruption durchzogen sei, entspreche nicht der Realität. Vielmehr entscheide die Arbeit der Menschen vor Ort über den Erfolg. Er plädierte dafür, langfristige Partnerschaften mit lokal geführten NGOs zu stärken, statt Abhängigkeiten durch große internationale Organisationen zu fördern. Damit brachte er eine kritische, aber vor allem eine konstruktive Betrachtung in die Debatte.

Globale Gerechtigkeit steht unter Druck – und mit ihr Millionen Existenzen.

Die Gefährdung der Entwicklungszusammenarbeit und die Bedeutung von Organisationen wie well:fair

Was uns in dieser Sendung fehlte, war die Perspektive darauf, welche Folgen Kürzungen und das Einfrieren von staatlichen Geldern auf die Entwicklungszusammenarbeit haben. 

Anhand des Beispiels von USAID, einer US-Behörde, deren Gelder für Entwicklungsprojekte drastisch gekürzt worden sind, lässt sich gut erklären, welche Auswirkungen solche Entscheidungen haben können. Diese Behörde war einer der größten Geber für Entwicklungsprojekte weltweit. Mit diesen Geldern wurden zum Beispiel Arbeitsplätze in lokalen NGOs bezahlt. 

Trumps Entscheidung, USAID faktisch abzuschaffen, ist nicht nur Politik – sie hat fatale Auswirkungen: Alle drei Minuten stirbt ein Mensch, weil diese lebenswichtige Hilfe wegbricht. Es ist unabdingbar, im Rahmen der Debatten über globale Entwicklungszusammenarbeit in den Mittelpunkt zu stellen, was Kürzungen von Entwicklungshilfe-Geldern ganz konkret für Menschenleben bedeuten: Wer ist betroffen? Mit welchen Auswirkungen? 

  • Laut dem PEPFAR Impact Tracker sind allein bis Mitte März 2025 über 22.000 Menschen in direkter Folge der USAID Kürzungen gestorben. 
  • 200.000 Menschen müssen jeden Tag auf ihre HIV Medizin verzichten. Und 130.000 Frauen und Mädchen bleibt jeden einzelnen Tag der Zugang zu Verhütungsmitteln verwehrt.
  • In Tigray, einer unserer Projektregionen, leiden laut Angaben unserer Partnerorganisation REST 1,4 Millionen Menschen akut an Hunger, weil USAID Lebensmittellieferungen ausbleiben. Zudem droht ein erneuter Konflikt in der Region

Die Entscheidungen der Trump-Administration sind also nicht isolierte Maßnahmen, sondern haben massive humanitäre Folgen: 

  • Hungerkrisen verschärfen sich, weil Förderprogramme für Kleinbauern und Ernährungsinitiativen gestrichen werden, oder
  • Epidemien wieder ausbrechen könnten, weil Impfprogramme nicht mehr finanziert werden.

Ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung von Privatpersonen verlieren Millionen Menschen den Zugang zu lebensnotwendiger Hilfe. Die Not wird nicht kleiner, nur weil Budgets gekürzt werden – sie wird nur unsichtbarer. Die Welt steckt nicht in weniger Krisen, es gibt nur weniger Geld und politischen Willen, sie zu lösen. Wer sich eine gerechtere Welt wünscht, muss selbst handeln.

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie wir sind zum Glück nicht von politischen Wahlen oder Agenden abhängig und das ermöglicht uns langfristige, nachhaltige Arbeit mit einem klaren Fokus auf echte Veränderung. NGOs retten Leben, können Gesellschaften stabilisieren und setzen grundlegende Menschenrechte durch – aber sie können es nur mit zivilgesellschaftlicher Unterstützung tun. 

Allein bis Mitte März haben über 20.000 Menschen ihr Leben verloren – in direkter Folge des Endes von USAID. Das ist ein toter Mensch alle drei Minuten.

Sind wir als nicht-staatliche Organisation von staatlichen Kürzungen auch direkt betroffen?

Ja und zugleich Nein. Nein, da unsere Arbeit vor allem aus Privatspenden finanziert ist. So  spüren wir zunächst keine akuten, konkreten Auswirkungen auf unsere Arbeit. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn unsere Partnerorganisationen in Äthiopien, Kenia und Tansania stehen vor massiven Herausforderungen. Und das betrifft uns dann doch alle.

In Äthiopien ist unser Partner REST besonders hart von den Kürzungen betroffen. 450 Mitarbeitende haben über USAID finanzierte Projekte umgesetzt – und plötzlich bricht die Finanzierung weg. 725.000 Menschen, die dringend auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind, stehen jetzt ohne Versorgung da. 700.500 Menschen, die medizinische Hilfe gegen Unterernährung brauchen, bekommen sie nicht mehr. Und im WASH-Sektor? Über 60 % der Menschen in Tigray haben immer noch keinen Zugang zu sauberem Wasser – und jetzt fehlen vielen NGOs die Mittel, um daran etwas zu ändern.

In Kenia sieht es ähnlich aus: Unser Partner Amref hat 20 Projekte stoppen müssen. Über 700 Mitarbeitende wissen nicht, wie es weitergeht. Und auch unsere Projekte mit Amref spürten die Auswirkungen. Während unsere Finanzierung überprüft wurde, musste Amref Bohrungen unterbrechen. Jetzt ist Regenzeit – das heißt, wir können die Arbeiten nicht so schnell nachholen. Die Konsequenz? Familien warten Monate länger auf sauberes Trinkwasser. Und wir wissen: Jede Verzögerung kann Leben kosten.

Aber es geht nicht nur ums Wasser. Es fehlen Mittel für Verwaltung oder für medizinische Versorgung. Und noch schlimmer: Wenn Projekte abrupt gestoppt werden, verlieren Menschen das Vertrauen. In uns, in unsere Partner und in die gesamte Entwicklungszusammenarbeit. Wir als well:fair stehen an der Seite unserer Partner und der Menschen vor Ort. 

Deshalb ist unsere klare Botschaft: Verantwortung beginnt bei uns allen. Gerade in Zeiten, in denen Entwicklungszusammenarbeit unter Druck steht, ist es umso wichtiger, den Fokus auf Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu legen – oder um es mit den Worten unseres Stiftungsgründers Neven zu sagen: “Ich bin in erster Linie Mensch.“

Wir brauchen die faktenbasierte und besonnene Auseinandersetzung mit Fragen über globale Verantwortung und einen konstruktiven Diskurs über das Gelingen und die Notwendigkeit von Entwicklungszusammenarbeit.

Entwicklungszusammenarbeit – Wir dürfen nicht vergessen, es geht um Menschenleben

Entwicklungszusammenarbeit wird durch politische und wirtschaftliche Herausforderungen erschwert und zugleich durch gezielte Desinformation und populistische Narrative unter Beschuss genommen. Falschbehauptungen untergraben das Vertrauen in staatliche Entwicklungszusammenarbeit und schüren Misstrauen gegenüber der öffentlichen Finanzierung globaler Projekte. Das lenkt von den tatsächlichen Herausforderungen und Erfolgen der Entwicklungszusammenarbeit ab – und davon, dass es letztlich um Menschenleben geht.

Der TV-Auftritt von Neven Subotic in der Sendung Markus Lanz diente als Grundlage für diesen Artikel. Die vollständige Sendung ist hier abrufbar.