Verstehen
19. September 2025
9 Minuten Lesedauer
Als well:fair foundation setzen wir uns seit 2012 für den Zugang zu sauberem Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene (WASH) ein. Durch unsere langjährige und direkte Arbeit in den Projektregionen Äthiopien, Tansania und Kenia und unseren dort ansässigen lokalen Partnerorganisationen, kennen wir die Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) aus erster Hand und wissen, wie wichtig eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema ist. In der aktuellen Debatte rund um die Kürzungen der Haushaltsmittel für die EZ weltweit und dem faktischen Ende der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID stehen wir nicht nur als Entwicklungssektor, sondern als Gesellschaft vor einer entscheidenden Frage: Welche Verantwortung tragen wir, wenn es um Entwicklungszusammenarbeit geht und welche Rolle spielen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in diesem Kontext?
USAID arbeitete seit ihrer Gründung 1961 mit Regierungen, Organisationen und Gemeinden vor Ort zusammen und war eine der größten Hilfsorganisationen weltweit.
Die United States Agency for International Development (USAID) war eine Behörde der US-Regierung, die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe in rund 130 Ländern dieser Welt leistete. Sie wurde 1961 von dem damaligen Präsidenten John F. Kennedy gegründet und setzte sich für bessere Lebensbedingungen in den Ländern des globalen Südens ein – zum Beispiel durch Bildungsprojekte, Gesundheitsversorgung und den Wiederaufbau nach Katastrophen. USAID arbeitete mit Regierungen, Organisationen und Gemeinden vor Ort zusammen und war eine der größten Hilfsorganisationen weltweit. Ihre Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit war entscheidend für zahlreiche globale Projekte, die darauf abzielen, Armut zu reduzieren, die Gesundheitsversorgung zu verbessern und Bildungschancen zu erhöhen. Im März 2025 hatte die amerikanische Regierung unter der Führung von US-Präsident Trump zunächst sämtliche Mittel der Behörde eingefroren (der sog. statefreeze) – seit September 2025 gilt die Behörde nun offiziell als geschlossen.
Die Herausforderungen unserer Welt verschwinden durch Kürzungen nicht – es bedeutet nur, dass weniger Menschen geholfen wird.
Die Kürzungen der US-Auslandshilfe, das heißt die Gelder der amerikanischen Entwicklungszusammenarbeit, gehen auf den sogenannten “Statefreeze” zurück. Der Begriff „Statefreeze“ beschreibt eine Verordnung von US-Präsident Trump, aufgrund welcher im Februar 2025 zunächst für 90 Tage sämtliche Mittel für die Auslandshilfe der USA eingefroren wurden mit dem Ziel zu überprüfen, ob die Auslandshilfe Programme den amerikanischen Interessen dienen. Die Hintergründe dieser Maßnahme liegen in der „America First“-Agenda der Trump-Administration, die darauf abzielt, die Ausgaben für Auslandshilfe zu reduzieren und behauptet, dass sie direkt den nationalen Interessen der USA zugutekommen.
Ende Februar verkündete die US-Regierung dann radikale Einsparungen des USAID-Budgets sowie Massenentlassungen, die einem Ende der Behörde gleichkommen. Allein in den USA haben dadurch über 14.000 Menschen ihren Job verloren, weltweit sind bis Anfang März 2025 fast 60.000 Arbeitnehmer*innen betroffen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels sind die rechtlichen Auseinandersetzungen darum noch nicht abgeschlossen. Ob diese Art der Politik jedoch tatsächlich – wie angekündigt – die nationalen Interessen Amerikas vertritt, ist mit einem Blick auf die Job- und Einnahmeverluste zumindest fraglich. Klar ist schon jetzt, dass die geplanten Einsparungen die amerikanische Wirtschaft empfindlich treffen werden. So sind beispielsweise 80 % der Unternehmen, die Verträge mit USAID hatten, amerikanisch. Besonders hart trifft es die Bauernbetriebe – 2020 allein hat die amerikanische Regierung Nahrungsmittelhilfen im Wert von beinahe 2 Milliarden US-Dollar von amerikanischen Bäuer*innen abgekauft.
Was zunächst als „Pause“ und Überprüfung angekündigt wurde, hat sich rasch zu einer breiten Beendigung von Programmen und einer Umverteilung vieler Mittel entwickelt – weg von einer unabhängigen Struktur bei USAID hin zur direkten Kontrolle durch das US-Außenministerium. Im Juli 2025 wurde bekannt, dass die Behörde zum September offiziell aufgelöst wird. Damit verändert sich nicht nur, wie die USA ihre Entwicklungszusammenarbeit organisieren, sondern auch das Grundverständnis internationaler Verantwortung.
Die Folgen sind unmittelbar und dramatisch. Selbst lebensrettende Maßnahmen, die offiziell von den Kürzungen ausgenommen waren, kamen zum Erliegen. Denn mit dem Abzug der zuständigen Mitarbeitenden vor Ort konnten keine Hilfsgüter mehr verteilt, keine lokalen Zahlungen getätigt und keine Projektpartner mehr autorisiert werden. Damit brachen zentrale Lieferketten für Nahrungsmittel, Medikamente und WASH-Maßnahmen zusammen. Hinzu kommt: Die schnelle Demontage von USAID hat große Lücken in der Aufsicht und Kontrolle geschaffen. Milliardenbeträge blieben ungenutzt, während die gewohnten Mechanismen der Rechenschaftspflicht geschwächt wurden.
Noch bedeutsamer ist jedoch das politische Signal: Die Entscheidung steht für eine Abkehr vom bisherigen US-Modell einer langfristigen globalen Entwicklungszusammenarbeit. Sie hat die Debatte in den USA und auch hier zulande weiter polarisiert, populistische Narrative befeuert und die Unsicherheit für Partnerländer und NGOs massiv vergrößert.
Globale Gerechtigkeit steht unter Druck – und mit ihr Millionen Existenzen.
Unterstützer*innen dieser Verordnung durch Donald Trump argumentieren, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht selten dazu beiträgt, vermeintlich korrupte Systeme zu stabilisieren, anstatt nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Sie sehen kein großes Problem in dem Ende von USAID. Diese Art der Diskussion stellt die Wirksamkeit von Projekten über Ländergrenzen hinaus infrage und somit auch historische Verantwortungen des Globalen Nordens (das heißt Länder wie Deutschland) gegenüber dem Globalen Süden (das heißt Länder wie Äthiopien oder Kenia). Damit wird ein Sektor kritisch unter die Lupe genommen, der seit Jahrzehnten lebenswichtige Arbeit gegen globale Ungerechtigkeiten leistet.
200.000 Menschen müssen seit der Schließung von USAID jeden Tag auf ihre HIV Medizin verzichten. Jeden einzelnen Tag bleibt 130.000 Frauen und Mädchen der Zugang zu Verhütungsmitteln verwehrt. Und allein in Äthiopien warten 2,4 Millionen Menschen vergebens auf überlebensnotwendige Lebensmittellieferungen, während in Tigray – der äthiopischen Region, in der wir arbeiten – über 60 % der Menschen weiterhin keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Die amerikanische Organisation PEPFAR schätzt, dass allein bis Mitte März über 20.000 Menschen ihr Leben verloren haben – in direkter Folge des Endes von USAID. Das ist ein toter Mensch alle drei Minuten.
Allein bis Mitte März haben über 20.000 Menschen ihr Leben verloren – in direkter Folge des Endes von USAID. Das ist ein toter Mensch alle drei Minuten.
Bei well:fair arbeiten wir mit jeweils einer lokalen Partnerorganisation in Äthiopien, Kenia und Tansania zusammen, mit der wir unsere Projekte umsetzen. Zwei dieser drei Partner sind direkt und massiv von den Kürzungen der USAID Mittel betroffen. Bei unserem äthiopischen Partner REST, einer Organisation mit einer über 40-jährigen Geschichte, arbeiten 450 Angestellte für USAID finanzierte Projekte, die direkt von den Projektstopps betroffen sind. Die Folge: 725.000 Menschen in 33 Bezirken erhalten keine dringend notwendigen Lebensmittel mehr. In Kenia musste unser Partner Amref 20 USAID-finanzierte Projekte stoppen, rund 700 Mitarbeitende mussten von einem auf den anderen Tag freigestellt werden. Die ausbleibenden Zahlungen sorgen für eine signifikante Finanzierungslücke der gesamten Organisation, die als größte afrikanische NGO im Gesundheitsbereich in mehr als acht Ländern aktiv ist.
Entwicklungszusammenarbeit unter Druck
Für uns als well:fair foundation ist deshalb eines klar: Entwicklungszusammenarbeit muss sich an den Bedarfen der Menschen in den Projektregionen orientieren – nicht an politischen Agenden. Unsere Arbeit im Bereich WASH zeigt, dass gezielte Projekte mit langfristiger Perspektive nachhaltige Veränderungen bewirken können. Doch wir sehen auch, dass internationale Hilfsgelder oft nicht den gewünschten Effekt haben, wenn sie nicht konsequent auf die lokale Realität abgestimmt sind. Die Debatte um die Kürzungen der Auslandshilfen und die Zukunft von USAID muss deshalb aus unserer Sicht grundsätzliche Fragen diskutieren, beispielsweise:
Wenn nun Regierungen Budgets für diese Arbeit kürzen – sei es in staatlicher oder nicht-staatlicher Umsetzung – können wir keine Antworten auf die oben gestellten Fragen finden. Die Herausforderungen unserer Welt werden durch diese Kürzungen nicht verschwinden, ganz im Gegenteil: Es bedeutet nur, dass weniger Menschen geholfen wird. Es kann unter anderem zur Folge haben, dass sich Hungerkrisen verschärfen, weil Förderprogramme für Kleinbauer*innen gestrichen werden. Epidemien könnten wieder ausbrechen, weil Impfprogramme nicht mehr finanziert werden.
Die Unterstützung für diese Themen wird nicht weniger wichtig, nur weil sie weniger finanziert werden. Die Welt befindet sich nicht in weniger Krisen – es gibt nur weniger Geld und weniger Wille, um sie zu bekämpfen.
Es ist jetzt an der Zeit, sich mit größeren Fragen und der eigenen Haltung auseinanderzusetzen, denn am Ende können wir eine Sache nicht ignorieren: Länder des globalen Nordens – also auch Deutschland – haben einen Großteil ihres verhältnismäßigen Reichtums und ihrer Machtposition durch Jahrhunderte der Sklaverei, des Kolonialismus und der Ausbeutung auf den Schultern des globalen Südens aufgebaut. Es hat Gründe, dass die Welt so ist, wie sie ist – niemand agiert im luftleeren Raum. Es ist die Aufgabe westlicher Staaten, sich dieser Verantwortung anzunehmen und durch finanzielle Unterstützung den Nachwirkungen dieser Ausbeutung zu begegnen.
Weltwassertag 2025: Jetzt aktiv werden und Wasserprojekte unterstützen!
Wir können uns Hand in Hand für eine gerechtere Welt einsetzen. NGOs, wie wir es sind, retten Leben, unterstützen die Stabilisierung von Gesellschaften und setzen Menschenrechte um. Dafür benötigen wir zivilgesellschaftliche Unterstützung und Stimmen, die sich gegen Ungerechtigkeit und verantwortungsvoll für ihre Mitmenschen einsetzen. Und wir benötigen Spendengelder, denn wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass Staaten oder Regierungen maßgebliche Finanzierungsanteile von Entwicklungsprojekten tragen, wir müssen es als Zivilgesellschaft selbst tun.
Am 22.März ist Weltwassertag. Anlässlich dieses Tages und den hier beschriebenen aktuellen Herausforderungen werden wir uns weiterhin und unermüdlich für den Zugang zu sauberem Wasser einsetzen – und Du kannst ein Teil davon sein: Jeder Cent Deiner Spende wird in voller Höhe in WASH Projekte eingesetzt: Unterstütze jetzt, denn Wasser ist ein Menschenrecht, das nicht von politischen Interessen abhängig sein sollte.
Werde selbst aktiv und teile unsere Message. Ab dem 13.03.2025 kannst du dir das Kampagnen-Kit herunterladen und über deine eigenen Social Media Kanäle teilen.